Welch ein spektakulärer, ja grandioser Auftritt der Bremer Band ZollHausBoys gab es da am 8.Oktober in der Pausenhalle der KGS Sittensen!
Von rockig-fetziger bis teilweise lyrischer Musik sehr professionell dargeboten und durch den laufenden Wechsel mit kabarettistischer Situationskomik und Slapstick-Einlagen kurzweilig vorgetragen, erzählen sechs junge Musiker am Beispiel ihrer eigenen Geschichte von ihrem Abschied aus Elternhaus und Familie, von ihrer Flucht vor Krieg und Terror in ihren Heimatländern und von den anfänglichen Integrationsproblemen und dem Kulturschock im für sie so fremden Land Deutschland.
Als würden sie ihr Leben auf der Bühne nacherleben, spiegeln sich in ihren Gesichtern die erlebten Geschichten und ihre Lebenshintergründe, Erinnerungen an ihre Heimat und ihre Familien zu Hause, ihre Flucht über Land und Wasser, ihre ersten Erfahrungen in Deutschland, ihre Sprachprobleme und die Verarbeitung der krassen kulturellen Unterschiede; oft augenzwinkernd, fast kabarettistisch, aber nie anklagend oder mit erhobenem Zeigefinger, sondern immer verständnisvoll und versöhnlich.
Denn die ZollHausBoys sind eine Multikulti-Band, bestehend aus den drei jungen syrischen „Bremer Neubürgern“ Ismael, Azad und Shvan, die in Aleppo und Kobani aufgewachsen sind, sowie dem Musiker Thomas aus Bolivien und dem einzigen Deutschen, Pago Balke, ein Kabarettist, Schauspieler und Regisseur, der seit der Entstehung dieser Musik- und Showgruppe in 2016 auch heute immer noch überzeugt ist: „Mir ist seit Jahren nichts Besseres passiert.“
Zur großen Überraschung gehört seit Beginn der zweiten Tournee dieser so erfolgreichen Gruppe nun aber auch eine junge Sängerin und Songwriterin zur Band. Selin Dimirkan, eine gebürtige Schweizerin mit türkischen Wurzeln, lebt und arbeitet in Berlin. Mit ihrer markant-sympathischen Stimme und ihrem virtuosen Klavierspiel kann sie auch sehr nachdenklich stimmende lyrische Elemente ins Programm einbringen, eine stilistisch große Bereicherung für diese früher reine Boy-Group.
Es hat sich also eine bunte Vielfalt von Mitwirkenden in dieser Band zusammengefunden. Wenn sie in ihren Texten und Liedern von ihren eigenen Lebenswegen und Erfahrungen erzählen, wirken ihre Auftritte stets sehr überzeugend, ja authentisch. Als Zuhörende nimmt man ihnen ab, dass die bewegenden und berührenden Geschichten, die sie erzählen, ihrer real erlebten Wirklichkeit entsprungen sind.
Zudem erweisen sich alle Mitwirkenden in dieser Band als hoch talentierte Musiker an den verschiedensten Instrumenten, sowohl bei ihren gut abgestimmten Gesamtauftritten als auch in den solistischen Einlagen. Unterhaltsam, nachdenklich machend, voller Witz und Geist ist ihr perfekt vorgetragenes und gut abgestimmtes Programm. So ist es nicht verwunderlich, dass diese jungen Menschen mit ihrer Gruppe bereits weit über die Grenzen Bremens hinaus für Furore gesorgt haben.
Eingeladen zu dieser Veranstaltung hatte die Flüchtlingshilfe EwiS (Eine Welt in Sittensen), und tatsächlich hatte sich eine bunte Zuhörerschaft unterschiedlichster Herkunft eingefunden; so waren unter dem überwiegend deutschen Publikum auch zahlreiche Geflüchtete, sowie ganze Familien mit ihren Kindern, die dem kurzweiligen Zwei-Stunden-Programm konzentriert und andächtig lauschten. Sie alle hatten ihr Kommen sicher nicht bereut, wie sich am überschwänglichen Applaus und den Rufen nach mehreren Zugaben ablesen ließ.
Die Licht- und Tontechnik an diesem Abend wurde von Marco Trochelmann genial und so feinfühlig gesteuert, wie es nur ein Vollblutmusiker, der selbst öfter auf der Bühne steht, tun kann. Der Dank der Band an ihn kam denn auch von Herzen.
EwiS-Vorsitzende Ingrid Kohnert, die schon in ihrer kurzen Begrüßungsrede auf die immer noch aktuelle Bedeutung der unverzichtbaren Flüchtlingshilfe vor Ort hingewiesen hatte, machte dem begeisterten Publikum am Ende viel Hoffnung auf Wiederholung dieser Veranstaltung, indem sie die Bandmitglieder eindringlich beschwor, im nächsten Jahr unbedingt wieder nach Sittensen zu kommen.
Mit einem Song drückte das Multitalent Pago Balke am Ende der Show das, was gewiss alle Anwesenden an diesem Abend empfunden hatten, sehr überzeugend aus: „Hey Jungs, ich zieh vor euch den Hut!“
Es zeigte sich wieder einmal: Gelungene Integration und gesellschaftliche Vielfalt sind eben doch alternativlos und in jedem Fall eine Bereicherung für alle!
Autor
02.11.2022